Die Ergebnisse der OVIS-Studie haben eindrucksvoll die bisher „gefühlten“ Defizite bei der augenärztlichen Versorgung bei Bewohnern von Alten- und Pflegeeinrichtungen bestätigt. Diese vorgefundene Situation ist deshalb so bedeutsam, weil die moderne Augenheilkunde heutzutage glücklicherweise eigentlich in der Lage ist, die meisten der „Augenvolkskrankheiten“, also den grauen und grünen Star, die Diabetes mellitus-bedingen Netzhautschädigungen und viele Formen der altersbedingten Makuladegeneration effektiv zu behandeln und so den Betroffenen über viele Jahre auch im hohen Alter ein gutes Sehen zu erhalten.
Damit ermöglichen wir Augenärztinnen und Augenärzte unseren Patientinnen und Patienten auch im Alter ein hohes Maß an Lebensqualität. Durch den Erhalt des guten Sehens auch im Alter sparen wir der Gesellschaft dann auch immense Kosten, die beispielsweise durch Unfälle, welche unter anderem auch auf schlechtes Sehen zurückzuführen sind, entstehen. Unbestritten ist, dass schlechtes Sehen die Sturzgefahr erhöht, das Voranschreiten einer Demenz und die soziale Isolation beschleunigt. Damit sind neben dem Verlust von Lebensqualität und einem eventuell früheren Ableben auch enorme Folgekosten vor allem im pflegerischen Bereich verbunden.
Warum ist aber nun die augenärztliche Versorgung von Bewohnern von Alten- und Pflegeinrichtungen so verbesserungswürdig? Drücken sich die Augenärztinnen und Augenärzte etwa davor oder gibt es doch andere Ursachen?
Bei einem mittlerweile so auf moderne Technik angewiesenem Fach wie der Augenheilkunde ist dabei völlig klar, dass eine qualitativ hochwertige augenheilkundliche Versorgung außerhalb der augenärztlichen Praxis kaum durchführbar ist. So sind ohne die kaum beziehungsweise nur sehr schwer transportablen technischen Geräte wirklich sichere Diagnosen kaum zu stellen oder die Beschwerden ausreichend abzuklären. Da hilft es auch nicht, wenn eine nicht-ärztliche Hilfskraft mit einem „kleinen Fuhrpark“, der aus einigen transportablen Geräten besteht, in die entsprechenden Einrichtungen fährt und dann ungefiltert „Reihenuntersuchungen“ bei allen Bewohnern durchführt. Es müssen nämlich alle auffälligen Befunde sowieso in der Praxis genauer abgeklärt werden. Auf der anderen Seite wäre die routinemäßige Ausstattung der Einrichtungen mit den benötigten augenärztlichen Geräten zu teuer und extrem unwirtschaftlich. Trotzdem gibt es Einzelfälle, bei denen ein Haus- bzw. Heimbesuch durch einen Augenarzt sinnvoll und erforderlich sein kann. Dazu sind auch die Augenärzte generell bereit.
Viel bedeutsamer ist es aber, die Mitarbeiter der Alten- und Pflegeeinrichtungen darauf zu schulen, Anzeichen für schlechtes Sehen zu erkennen und sich frühzeitig um eine Vorstellung beim lokalen Augenarzt zu kümmern.
Wie sieht der derzeitige Alltag aus Sicht der Augenärzte aus?
Oftmals werden Augenärzte für Heim- beziehungsweise Hausbesuche zur Untersuchung von Patienten angefragt, die ohne Probleme mit einem Taxi oder einem einfachen Krankentransport in die Praxis gebracht werden könnten. Ist man als Augenarzt dann in der Einrichtung vor Ort, erfährt man, dass es um die Überprüfung der Sehschärfe oder die Abklärung unspezifischer Beschwerden geht, die man außerhalb der Praxis eben nicht suffizient abklären kann.
Werden dann doch einmal Bewohner von Alten- und Pflegeeinrichtungen in die Praxis gebracht, ist nicht immer eine Begleitperson der Einrichtung dabei, die weitere Auskünfte geben kann. Es fehlen in der Regel vorhandene Sehhilfen und eine Liste der Medikamente, die der Patient einnehmen muss, ist auch nicht dabei. Eventuell bestehende Vorbefunde des bisherigen Augenarztes oder eine Liste von weiteren vorhandenen Erkrankungen liegen ebenfalls nicht vor. Hat man es nun aber geschafft, mit der Einrichtung zum Beispiel einen Sammeltransport von mehreren Bewohnern zu organisieren, trifft dieser Transport häufig sehr verspätet (wenn überhaupt) in der Praxis ein, so dass das Zeitfenster, welches man für diese in der Betreuuung und Untersuchung aufwendigeren Patienten vorgesehen hatte, schon wieder geschlossen ist und damit die gesamte Praxisplanung aus dem Ruder läuft. Ein weiteres Problem stellen die Rücktransporte der Patienten in die Einrichtungen dar. Diese kommen meistens ebenfalls verspätet, so dass nicht selten das Praxispersonal bis weit nach Ende der eigentlichen Sprechstundenzeit vor Ort bleiben muss, bis die Patienten abgeholt werden. Auch fehlt leider bei vielen Pflegerinnen und Pflegern der Einrichtungen das Verständnis für die Behandlung von Augenkrankheiten. Es werden Tropf- und Therapiepläne, Kontrollintervalle et cetera leider oftmals nicht eingehalten.
Aus Sicht des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands müssen unbedingt folgende Probleme gelöst werden:
Der Transport von der Einrichtung in die Augenarztpraxen und wieder zurück muss unbürokratisch gelöst werden (kostengünstige Sammeltransporte, Genehmigungen durch die Kostenträger) und sicher funktionieren. Die Einrichtungen müssen sicherstellen, dass eine Begleitperson mit in die Praxis kommt und sichergestellt wird, dass alle relevanten Befunde (Sehhilfen, Medikamenten- und Diagnoselisten, eventuell vorhandene Vorbefunde) zusammen mit dem Patienten in die Praxis kommen. Sinnvoll wäre überdies eine verpflichtende augenärztliche Untersuchung, wenn ein Bewohner neu in eine solche Einrichtung aufgenommen wird. Von Seite der Augenärzte muss sichergestellt werden, dass die erhobenen Befunde und angeordneten therapeutischen beziehungsweise pflegerischen Maßnahmen im Rahmen der Pflegedokumentation an die Einrichtung übermittelt und dort dann auch befolgt werden. Nicht zuletzt muss auch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die Untersuchung und Betreuung von Patienten aus Alten- und Pflegeeinrichtungen aufwendiger und zeitintensiver ist. Dies muss sich letzten Endes auch in der Honorierung für die Augenärzte niederschlagen. Man muss für diese Patienten personelle, räumliche und zeitliche Kapazitäten vorhalten, da man ja die Untersuchung einerseits möglichst effizient und für die Patienten so wenig belastend wie möglich durchführen möchte. Dies ist unter den bisherigen Honorarbedingungen, in welchen solche Patientinnen und Patienten nicht adäquat berücksichtigt sind, nicht möglich. Wir Augenärztinnen und Augenärzte scheuen die Versorgung dieser Patientengruppe nicht, aber die Bedingungen für eine solche Versorgung müssen dringen verbessert werden.